Anja Niedringhaus wurde am 12. Oktober 1965 in der westfälischen Kleinstadt Höxter als mittlere der drei Töchter von Karl-Heinz und Heide Ute Niedringhaus geboren. Sie wusste früh, was sie wollte, und war neugierig auf die Welt dort draußen: „Seit ich zwölf Jahre alt war, wollte ich Fotografin werden.“ Fotografiert hat sie schon als junges Mädchen, erst für die Schülerzeitung des König-Wilhelm-Gymnasiums, dann als freie Mitarbeiterin bei der Lokalzeitung Neue Westfälische.
Nach dem Abitur 1986 ging sie für die Kindernothilfe nach Indien und studierte im Anschluss an der Universität Göttingen Germanistik, Philosophie und Publizistik. Parallel schrieb und fotografierte sie für das Göttinger Tageblatt. 1990 verschafften ihr ihre Bilder vom Berliner Mauerfall eine Festanstellung als erste Frau bei der European Pressphoto Agency, bei der sie später Cheffotografin wurde. Nach zwei Jahren als Agenturfotografin drängte sie darauf, nach Jugoslawien zu reisen, wo der Krieg gerade ausgebrochen war.
Mehrfach entging sie dem Tod nur knapp. Bei ihrem ersten Einsatz in Sarajevo wurde sie von Heckenschützen unter Feuer genommen und getroffen. Sie überlebte nur durch ihre kugelsichere Weste. 1997 erlitt sie bei einem Unfall mit einem Polizeifahrzeug in Belgrad komplizierte Fußfrakturen. Im Kosovo trafen sie 1998 Granatsplitter. Ein Jahr später wurde sie mit einer Gruppe von Journalisten bei einem Grenzübergang zwischen Albanien und dem Kosovo irrtümlich von NATO-Flugzeugen bombardiert. Schwerste Verletzungen erlitt sie auch 2010 in Kandahar, als sie durch eine Bombardierung von mehreren Granatsplittern getroffen wurde. Genauso brenzlige Situationen gab es mehrfach, als sie amerikanische Rettungsflieger in Afghanistan begleitete, die unter Beschuss gerieten.
2001 fotografierte Anja Niedringhaus die Folgen der Terroranschläge vom 11. September in New York. Kurz darauf arbeitete sie erstmals in Afghanistan, wo sie in Mazar-e-Sharif und Kabul drei Monate lang über den Sturz der radikalislamischen Taliban berichtete. 2002 wechselte sie zu der US-amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press und war seitdem offiziell in Genf stationiert. Die Stempel in ihrem Reisepass lesen sich wie eine Chronik der großen Konfliktgebiete der Welt: Gaza-Streifen, Irak, Afghanistan, Türkei, Pakistan, Libyen und Kuwait. Aber auch in Wimbledon und bei anderen Großereignissen des Sports wie den Olympischen Spielen war sie regelmäßig vertreten.
Ihre Bilder erscheinen weltweit auf den Titelseiten der Zeitungen und machen sie berühmt. Mit Einfühlungsvermögen und Respekt für die Betroffenen fotografiert sie genauso in Abu Ghuraib wie in der Schlacht um Falludscha, den Tanklastwagen, der in Kundus auf Befehl des deutschen Oberst Klein bombardiert wurde, oder während der Anschläge auf die Zentrale des Internationalen Roten Kreuzes in Bagdad. Sie interessierte sich nicht für die technische Kriegsmaschinerie, sondern dafür, was der Krieg bei den Menschen anrichtet. Der Blick hinter den Krieg, der schwierige Alltag der Bevölkerung, ganz besonders das alltägliche Leben der Kinder mitten in diesem unerträglichen Desaster, waren ihr wichtig. Von allen Ländern, aus denen sie jahrzehntelang über das Leid der Menschen berichtet hat, lag ihr Afghanistan am meisten am Herzen.
Ihr Tod am 4. April 2014 löste weltweit Bestürzung und Betroffenheit aus. Am 12. April 2014 wurde Anja Niedringhaus unter großer Anteilnahme der Bevölkerung in ihrer Heimatstadt Höxter beigesetzt. Eine Gedenktafel am Historischen Rathaus in Höxter erinnert an die international bekannte Fotografin.