Besondere Tragik: Dem Attentat fiel eine der schärfsten Kritikerinnen des Afghanistan-Krieges zum Opfer.
Der amerikanische Marineinfanterist in Falludscha, der ein GI-Joe-Maskottchen als Glücksbringer an seinem Rucksack befestigt hat; die beiden palästinensischen Jungen, die mit einem Telefon spielen, das sie in den Trümmern eines Hauses im Gaza-Streifen gefunden haben; oder der amerikanische Präsident George W. Bush, der während eines Thanksgiving-Besuches seinen Soldaten in Bagdad eine Platte mit einem Truthahn präsentiert: Die Fotos von Anja Niedringhaus sind als Ikonen in die Geschichte eingegangen, als Zeitdokumente, aber auch als Herzensbrecher, genauso wie das ungewöhnlich rauhe und unwiderstehlich ansteckende Lachen der weltbekannten Fotografin, das niemand vergessen kann, der ihr einmal begegnet ist.
Anja Niedringhaus wurde am 4. April 2014 von einem afghanischen Polizisten in Khost erschossen. Sie und ihre Freundin und Kollegin, die kanadische Journalistin Kathy Gannon – beide sind ein in Kriegsgebieten erfahrenes und eingespieltes Team –, wollen über die anstehenden Präsidentschaftswahlen in Afghanistan berichten. Die Reise ist sorgsam vorbereitet, und die Sicherheitslage gibt den beiden Frauen keinen Anlass zur Sorge. Gemeinsam mit einem Konvoi der afghanischen Polizei und des Militärs sind sie in der Provinz Khost im Osten Afghanistans unterwegs. Sie haben das schwer bewachte, mit hohen Mauern umgebene Polizeigelände erreicht und warten auf der Rückbank ihres Fahrzeuges, als der afghanische Polizist Naqibullah sich von einem Untergebenen eine Kalaschnikow geben lässt und mit den Worten „Allahu Akbar“ das gesamte Magazin auf die Journalistinnen leerschießt. Anja Niedringhaus ist sofort tot. Ihre Freundin Kathy Gannon wird schwer verletzt in ein Krankenhaus gebracht.
Der 25-jährige afghanische Polizist Naqibullah lässt sich am Tatort widerstandslos festnehmen. Er hatte seit 2012 bei der Afghan National Police gearbeitet und war von US-Ausbildern in Masar-e-Scharif geschult worden. In seiner Anhörung sagt er, dass er aus Rache für den Tod von Familienangehörigen bei einem NATO-Bombardement in der Provinz Parwan gehandelt habe und rechtfertigt die Tat mit dem Dschihad. Am 22. Juli 2014 wird er von einem Gericht in Kabul nach einer zweistündigen, nicht öffentlichen Verhandlung in erster Instanz zum Tode verurteilt. Gleichzeitig führt die deutsche Generalbundesanwaltschaft ein Verfahren gegen ihn. Ein deutscher Diplomat drängt auf die Umwandlung der Todesstrafe in eine Freiheitsstrafe. Auch die deutsche Regierung und die Familie von Anja Niedringhaus sprechen sich ausdrücklich dafür aus. Die Argumente: „Anja war eine Pazifistin und hielt die Todesstrafe für sinnlos. Wir als Familie sehen das genauso.“ Abschließend reduziert der Oberste Gerichtshof in Afghanistan die Strafe und verurteilt den ehemaligen Polizisten zu 20 Jahren Gefängnis. Das Tragische: Mit seinem Attentat hat Naqibullah eine der schärfsten Gegnerinnen des Afghanistan-Krieges getötet.
Bereits zwei Jahre später häufen sich in Kabul die Anzeichen dafür, das die einflussreiche Familie von Naqibullah versucht, den Mörder aus dem Gefängnis freizupressen. Die Angehörigen setzen die Behörden unter Druck und bedrohen Kathy Gannon und die Familie von Nishanuddin Ahingar, der als Zeuge in dem Prozess ausgesagt hatte.
Elke Niedringhaus-Haasper